Von Reinhard Vitt

Herr Beyer war ein leidenschaftlicher Sammler von Büchern und Zeitschriften. Bei der Durchsicht seiner Bibliothek fiel auf, daß diese Leidenschaft - im wohlverstandenen Sinn dieses Wortes - ihm nahezu von seinem Wesen her zu eigen war. Die ersten Sammlungen gehen in sein zehntes Lebensjahr zurück, es sind Zeitschriften aus den beginnenden dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Dabei fällt von Anfang an der „gute Geschmack“ und die Qualität auf, unter der diese Sammlung stand. Für einen Jungen in diesen frühen Jahren ist das erstaunlich. Demgemäß wurden diese ersten und frühen Sammlungen auch nie aussortiert, sondern blieben Bestand der großen Bibliothek von Herrn Beyer. In den Jahren seiner schulischen Ausbildung bei den Steyler Missionaren setzte Herr Beyer die anfängliche Sammlung fort, und es bleibt erkennbar, wie er sich auch die ersten größeren Werke zugelegt hat. So hat er sich die „Konfessionskunde“ von Konrad Algermissen - ein bis heute anerkanntes Standardwerk - während seiner Schulzeit in Einzelschriften erworben. Sammlung war für den jungen Josef Beyer demnach keine Anhäufung von Material, sondern ein sich früh erweiternder Raum seines Lebens und seiner geistigen Beschäftigung wie Auseinandersetzung.

Diese ersten Reihen sind übrigens mit einem schönen und klaren Stempel in schlichter Jugendstilschrift versehen: Josef Beyer Koxhausen. Später fehlt nicht nur jede Signatur dieser und jeder anderer Art. Nur von den Einbänden her läßt sich auf den häufigen Gebrauch der Werke schließen, im Inneren finden sich - ausgenommen die direkten Studienwerke und späteren Schulbücher - keinerlei Leserzeichen, Lesernotizen oder gar Randglossen. Für Herrn Beyer scheint das Buch, ungeachtet seiner Qualität als Fundgrube der Erkenntnis und Ort der Beschäftigung wie Auseinandersetzung, nie den Charakter des Wertvollen und Pflegsamen, gar etwas Heiligen, verloren zu haben. Die Sammlung bis zum Beginn seines Studiums in Bonn - hier taucht dann gelegentlich die Signatur Josef Beyer, stud. phil. auf - besteht unter anderem aus expressionistisch geprägten Periodica, Jahresschriften und Zeitschriften, unterschiedlicher Intensität. Diese wurden sicher im Laufe der Zeit historisches Material, hatten keinen direkten Bezug zur veränderten Gegenwart mehr, wurden aber mit einem sicheren Gespür für historische Quellenlage und persönliche Werdensgeschichte bewahrt und sogar in den Folgeerscheinungen - wo diese gegeben waren - bis in die unmittelbare Gegenwart fortgeführt. Daß sich darunter auch eine Serie von Nachkriegsausgaben des Sendboten befindet - dies ist die Zeitschrift der Missionare von der Heiligen Familie - hat mich überrascht, denn es gab zu dieser Zeit zwischen Herrn Beyer und dem Träger der Biesdorfer Schule keine Beziehungen.

Die Sammlung von Herrn Beyer während seines Studiums der klassischen Philologie und der Geschichte, des Referendariates und einer Zwischentätigkeit als Lektor eines Verlages schlägt sich nieder in den Bereichen: Interpretation der Antike, dogmatische Erkundung und moraltheologische Orientierung. Dieser Bestand ist relativ klein und verweist auf die Übernahme von Teilen untergangener beziehungsweise ehemaliger Schulbibliotheken. Zu einer ersten Entfaltung kam die Bibliothek von Herrn Beyer während seiner Tätigkeit an einem Ordensgymnasium für Mädchen in Duisburg. Hier fällt unter anderem die Beschaffung jener dickleibigen Bände „Lexikon der Frau“ auf, ein frühes feministisches Werk zur Frauengeschichte, Frauenkultur und fraulichen Lebensgestaltung. Der stark abgegriffene weiße Halbledereinband deutet auf eine intensive Beschäftigung hin mit dem, was wir heute als „Frauenfrage“ bezeichnen würden. Nur „böse Buben“ könnten meinen, Herr Beyer habe zum Lexikon statt zur Person „gegriffen“. Die Entscheidung, alleine zu bleiben, hat er erst in Biesdorf getroffen, und die Welt der Bücher war für ihn kein „Wolkenkuckucksheim“, sondern stand immer in Beziehung zu seiner eigenen Formung, personalen Weitung, kenntnisreichen Prägung und kritisch prüfenden Orientierung als Lehrerpersönlichkeit. Diese Formung von Geist und Seele und die gründliche Orientierung seines Lebens war sicher sehr persönlicher Art, ging aber immer zugleich hinüber in den schulischen Dienst der Vermittlung von Wissen und Wert, der Orientierung an Fakten und Maßstäben und der gepflegten und kenntnisreichen Begleitung der Schülerinnen und Schüler.

Seine persönliche Ausformung und Ausbildung hat Herr Beyer über die weiter wachsende Welt seiner Bücher auch nach seiner Pensionierung im Jahr 1986 intensiv fortgesetzt. In seiner ihm eigenen Weise repräsentierte Herr Beyer sehr konkret die Unermesslichkeit des Geistes, die mit einem nahezu ungeheuren Hunger nach Wissen, Kenntnis und Orientierung korrespondiert. Insofern ist diese etwa 20.000 Schriften umfassende Bibliothek nicht nur eine ungeheure Investition, sie ist viel mehr der Niederschlag eines lebenslangen Studiums und einer ständigen Annahme der Herausforderungen und Fragen, die die Zeit an eine Person stellen kann. Daß diese Antworten nicht aus einer Enge, sondern aus einer Weite, und vor allem aus einer Tiefe heraus gesucht wurden, muß nun nicht mehr eigens herausgestellt werden.

Reinhard Vitt